Leipzig 2011, Winterfahrt
Im Juni bin ich schon einmal mit dem Rennrad nach Leipzig gefahren, wo meine Tochter Rebecca studiert. Damals bin ich über Schweinfurt und Coburg gefahren und habe zwischendurch übernachtet.
Diesmal will ich die Nacht durchfahren, ich muss ja meinen neuen Nabendynamo und die LED Lampe einweihen. Als Strecke habe ich eine südliche Route gewählt, über Ulm und Nürnberg. Ich kenne sie von 2009, als ich in drei Tagen nach Leipzig fuhr. Allerdings ist es jetzt Mitte November und die Nächte sind lang und kalt. Mal sehen ob es klappt.
Die Wettervorhersage sieht gut aus, ich brauche wohl nicht mit Regen zu rechnen. Das ist auch eine Grundvoraussetzung für diese Tour zu dieser Jahreszeit. Wie sich herausstellen wird, ist aber auch bei trockenem Wetter eine solche non-Stop Tour im Winter ein ziemliches Abenteuer… Gepackt habe ich wie üblich am Tag zuvor. Hier meine Gepäckliste:
Am Körper:
- Langes Unterhemd
- Softshell Jacke von Gore
- Softshell Handschuhe von Pearl Izumi
- Lange Hose von Pearl Izumi
- Normale Radschuhe
- Überschuhe mit Fleece
- Gore Unterziehmütze
- Dünne Sturmhaube aus Funktionsfaser
- Klare Brille
- Helm
Im Rucksack:
- zweites Unterhemd
- dünnere Handschuhe
- einfache Unterziehmütze
- Fleeceshirt zum drunter ziehen
- Kurze Hose und Beinlinge, sollte es warm werden
- Müsliriegel, ein paar Weichnachtsplätzchen
- iPhone, Ohrhörer
- Kamera Fuji X10
- Geld, EC-Karte
- zwei Inbusschlüssel
- Sonnenbrille
Am 12.November um 5 Uhr stehe ich auf und esse die Reste vom Abendessen. Auch bereite ich mir ein paar belegte Brote für unterwegs. Draußen ist es offensichtlich klar, man sieht die Sterne. Das Thermometer zeigt 3°C an. Optimale Bedingungen also!
Kurz nach 6 Uhr geht es los nach St. Märgen auf die Schwarzwaldhöhen. Oben rötet sich schon der Himmel und es wird auch merklich wärmer. Leider aber nur für kurze Zeit. Ab dem Urachtal wird es neblig und frostig. Dummerweise schlägt sich die Nässe gleich auf der Brille und den Klamotten nieder. Hoffentlich bleibt das nicht so. Aber es ist jetzt hell und bald bin ich unter dem Nebel wo es sich wieder sehr angenehm fahren lässt.
Schnell ist Tuttlingen erreicht, danach geht es wieder etwas bergauf. Gegen halb elf erreiche ich Meßkirch und mache meine erste Pause nach 110km. Im Eingangsbereich eines Supermarktes gibt es eine Bäckerei mit Sitzmöglichkeiten. Ideal um sich aufzuwärmen. Zwei süße Teilchen und ein heißer Kaffee füllen die verbrauchten Kalorien auf. Nach 20 Minuten geht es weiter entlang der B311 bis Mengen. Danach halte ich mich links und fahre auf kleinen Straßen über die Hügel nördlich des Donautals. Mittlerweile sind die Temperaturen auf ca. 7°C gestiegen, und ich packe die Sturmhaube und die dicken Handschuhe weg und steige auf die dünneren Handschuhe um.
Bei Riedlingen quere ich die Donau wieder und fahre auf der südlichen Seite durch viele kleine Dörfer in einer schönen Hügellandschaft bis nach Ulm. Auf dem Radweg entlang der Donau geht es weiter nach Elchingen und Langenau. Es ist jetzt 15 Uhr und Zeit für eine weitere Pause. Diese verbringe ich wieder in einer Bäckerei bei einem Supermarkt wo man drinnen sitzen kann. Ein Bier, ein Kaffee und etwas Gebäck sind willkommene Aufputschmittel nach 220km. Hier schalte ich auch mein Dynamoladegerät ein, welches ich selbst gebastelt habe. Das GPS sollte für die Nacht ja wieder voll geladen sein.
Eine halbe Stunde später geht es weiter in Richtung Schwäbische Alb. Noch hoffe ich, dass ich über den Nebel komme und etwas Sonne sehe, aber viel Zeit bleibt nicht mehr, die Tage sind doch schon sehr kurz. Bald muss ich auch mein Licht wieder einschalten, denn es wird schnell dunkel. Gleichzeitig schalte ich auch das Ladegerät aus, auch wenn die Ladezeit doch leider wohl etwas kurz war. Aber soweit ich von anderen gehört habe, geht ein Ladegerät und Licht nicht gleichzeitig zu betreiben.
Nicht nur dunkel wird es, ich stecke jetzt auch wieder mitten im Nebel und man sieht fast die Hand vor Augen nicht, vor allem wenn die Brille durch den Nebel beschlägt.
Weiter geht es über die Hügel vorbei an Ballmertshofen, wo ich vor zwei Jahren auf der gleichen Strecke übernachtet habe. Heute ist nichts mit übernachten, es wird weitergefahren.
Nach Schweindorf treffe ich auf die B466 und rasch geht es hinunter nach Nördlingen.
Hier entscheide ich kurzfristig nicht der programmierten GPS Strecke durch Nördlingen zu folgen, sondern die Hauptstraße weiterzufahren. Dummerweise führt die nur in großem Bogen um Nördlingen herum. Danach muss ich erst mal wieder die geplante Strecke suchen.
Egal, auf einem angenehmen Radweg geht es jetzt weiter entlang der B466 bis nach Öttingen. Es ist jetzt 19 Uhr und tiefste Nacht. Ganz anders als im Sommer, wo um diese Zeit noch lange Tag ist.
Hier glaube ich meinen Augen nicht, als ich auf mein GPS schaue. Es zeigt plötzlich keine Strecke mehr an, sondern einen eigentümlichen Testbildschirm. Aus und einschalten bringt nichts. Was tun? Ohne GPS bin ich aufgeschmissen. Nach einigen Versuchen unter drücken aller möglichen Tasten und wiederholtem Einschalten ist der normale Bildschirm wieder da und ich kann glücklich weiterfahren.
Um ca. 20 Uhr treffe ich in Gunzenhausen ein und beschließe hier in einem italienischen Restaurant Abend zu essen. Zuvor rufe ich noch zuhause an und gebe durch, dass alles in Ordnung ist und ich weiterfahren werde.
Ich stärke mich mit einer Portion Spaghetti Bolognese, einem Salat und einem Bier. Nachtisch haben sie leider keinen mehr. Dafür gibt es noch einen Espresso. Nach 45 Minuten geht es wieder hinaus in die Kälte. Es hat nur noch Null Grad und ich ziehe mein Fleeceshirt und die dicken Handschuhe, sowie die Sturmhaube wieder an.
Auf der mittlerweile wenig befahrenen B466 geht es weiter nach Schwabach, wo ich um 22:20 Uhr einlaufe. Mittlerweile hat es aufgeklart und ist aber auch verdammt kalt geworden. Ca. -5° hat es, ich merke es als ich mit Überraschung feststellen muss, dass meine beiden Wasserflaschen am Rad komplett eingefroren sind. So hatte ich mir das nicht gedacht.
Auch auf meiner Jacke und den Handschuhen hat sich vom Nebel eine dicke Reifschicht gebildet. Im Gesicht bestimmt ebenso…
Dazu ein großer Schreck als mein Garmin GPS plötzlich piepst und meldet, dass der Akku bald leer sei. Ohne GPS habe ich keine Chance die Strecke zu finden. Meine einzige Chance ist zu versuchen, ob Licht und Ladegerät nicht doch gleichzeitig funktionieren. Dazu muss ich aber den Ladestecker wieder einstecken, wozu ich das Gerät vom Lenker nehmen sollte. Das geht aber nicht, weil es mittlerweile komplett festgefroren ist. Mist! Nach einigen Versuchen mit kalten Fingern ist aber der Stecker drin und ich kann das Ladegerät einschalten und rolle weiter. Puh, da fällt mir ein Stein vom Herzen, schon ab Schritttempo meldet das GPS eine externe Stromquelle, und auch das Licht leuchtet nicht merklich dunkler als vorher.
Weiter geht es nach Nürnberg. Dort sieht es aus wie im tiefsten Winter, die Autos dick vereist. Immer wieder schüttle ich meine Hände und bewege die Zehen. Ich fahre bewusst schneller um mehr Wärme zu produzieren. In Schwaig finde ich eine Tankstelle wo ich mich aufwärmen kann. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht. Eine knappe halbe Stunde reicht aus, und ich fahre weiter ins Tal der Pegnitz.
Über Schnaitach geht es Richtung Pegnitz. Mittlerweile hat es aufgeklart und der Mond beleuchtet die Landschaft, die hier sehr schön ist.
Ein winziges Sträßchen windet sich durch ein kleines verlassenes Tal. Ab und an mal ein Hof, alles liegt still und frostig im fahlen Mondlicht. Ich habe Zeit mich umzusehen, denn die Straße windet sich doch ziemlich steil das Tal hinauf.
Später geht es wieder bergab, aber es bleibt ziemlich hügelig. Anstiege und Abfahrten wechseln sich laufend ab. Wiederholt kreuze ich die A9, die Strecke führt hier ziemlich parallel zur Autobahn.
Um 2 Uhr durchfahre ich Pegnitz und mache später eine kurze Pause in Creußen, in der ich eines meiner Brote esse. Aus meinen Eisflaschen lässt sich leider kein Tropfen Wasser ringen, deshalb würge ich das Brot trocken hinunter, was gar nicht so einfach ist.
Um kurz nach 3 Uhr lasse ich Bayreuth links liegen und fahre am Miniflughafen vorbei in Richtung Bad Berneck. Die Straße zum Flughafen kommt mir doch recht steil vor, aber sie hat auch nur ca. 7% Steigung. Na ja, eigentlich kein Wunder nach 470km bei diesen Temperaturen.
Bad Berneck habe ich noch gut von meiner ersten Fahrt in Erinnerung. Dort geht es ins Fichtelgebirge und ich habe damals gedacht, das bedeutet Anstiege wie im Schwarzwald. Aber dem ist nicht so, die relativ schmale B2 windet sich nur über ein paar Rampen von 400m auf knapp über 600m.
Kurz hinter Metzlesdorf habe ich einen Tiefpunkt. Es ist jetzt 5 Uhr morgens und die Kälte dringt durch alle Knochen. Ich muss eine Pause machen, auch wenn es dort nur eine Laterne mit etwas Licht gibt. Ich setze mich in Ermangelung einer besseren Möglichkeit einfach auf den Boden und schiebe nochmal etwas Brot rein. Zum Glück habe ich noch ein paar Weihnachtsplätzchen, die ich jetzt aufesse. Länger als 10 Minuten bleibe ich nicht, ohne Bewegung wird es ja eher noch kälter.
Weiter geht es nach Nordosten und ich erreiche um halb sechs Münchberg. Gleich am Ortseingang befindet sich rechts eine Araltankstelle in der Licht ist und sogar jemand an der Theke steht. Die Tür ist aber geschlossen, und die Dame gibt mir zu verstehen, dass sie erst um 6 Uhr aufmacht. Ich frage sie, ob es denn eine andere Tankstelle in Münchberg gibt die offen hat. Daraufhin erweicht sie sich aber doch und lässt mich in die Wärme.
So verbringe ich hier eine ganze Stunde um mich bei Kaffee, Brötchen und Cola wieder einigermaßen aufzuwärmen. Draußen ist es jetzt auch fast schon hell, die harte Nacht ist überstanden.
Als ich wieder raus komme erschlägt mich erst mal die Kälte, aber erstaunlich schnell wird mir wieder warm als ich in die Pedale trete. Das morgendliche Licht über der Raureif überzogenen Landschaft hebt meine Stimmung. Nur noch 170km zu fahren, und das bei Tage mit hoffentlich angenehmeren Temperaturen.
Um halb acht durchfahre ich Hof. In dieser Gegend geht es ausschließlich hoch oder runter. Ebene Abschnitte gibt es eigentlich nicht. Nach Hof überquere ich die ehemalige Zonengrenze und nähere mich Schleiz. Kurz vorher um 9 Uhr rufe ich meine Frau zuhause an und bestätige ihr, dass es mir gut geht und ich wohl gegen 15 Uhr in Leipzig sein werde.
In Schleiz hole ich mir eine Flasche Apfelsaft und schlage das Eis aus einer meiner Wasserflaschen und fülle den Apfelsaft ein. Aufgetaut war die Flasche noch nicht, obwohl die Temperaturen langsam wieder im Plus sind. Habe mittlerweile auch mein Fleeceshirt wieder eingepackt.
Ab hier geht es nun deutlich bergab und ich erreiche auf teilweise kleinen Straßen gegen 11 Uhr Gera. Hier mache ich nochmal kurz für 15 Minuten Pause, esse mein letztes Brot auf und wechsle auf die dünneren Handschuhe. Auch packe ich die Sturmhabe und Mütze weg, in der Sonne sind die Temperaturen doch jetzt sehr angenehm. Bei der Weiterfahrt zeigt sich aber schnell, dass der Fahrtwind doch nach wie vor sehr kalt ist, so ziehe ich die Mütze doch gleich wieder an.
An der Elster entlang geht es hier sehr eben weiter. Ich durchquere Zeitz und fahre an der rechten Talseite weiter. Dummerweise sticht es mir ab und an ins Knie, manchmal doch ziemlich heftig. Gut, dass das erst hier passiert. Ich nehme an, durch die Kälte sind die Knie offensichtlich doch etwas überlastet worden. Ich verringere das Tempo etwas und kurble locker weiter.
Bei Groitzsch fahre ich auf der ehemaligen Bahntrasse weiter bis Zwenkau und erreiche bald Markkleeberg, welches nahtlos in Leipzig übergeht. Schließlich komme ich kurz nach halb drei in der Wohnung meiner Tochter Rebecca in der Perthesstraße an. Eine Dusche ein Bier und eine warme Suppe bringen die Lebensgeister langsam wieder auf Trab.
Geschafft! Das war schon ein recht extremes Abenteuer… deutlich härter als die 825km nach Berlin im Sommer. Ich weiß nicht ob ich sowas nochmal machen werde…
Strecke / Höhenmeter: | 675 km | 5700 hm |
Gesamtzeit / Gesamtdurchschnitt: | 32:25 h | 20.8 km/h |
Reine Fahrzeit / Durchschnitt Fahrt: | 27:05 h | 24.9 km/h |