Italien Juni 2012

Der Termin rückt immer näher. Eine Woche Urlaub in Mittelitalien, kurz vor dem Lago die Bolsena auf einem Reiterhof. Meine Frau reitet dort und ich will die Zeit mit Rennrad fahren verbringen. Da bietet es sich wieder an, mit dem Rad hinzufahren. Meine Frau fährt dann mit unserem VW-Bus und wir wollen uns dort treffen.

Jetzt ist Freitag nachmittag und morgen soll es losgehen. Leider kann ich mich aber noch gar nicht auf meine bevorstehende Langstreckenfahrt konzentrieren, denn mein Job nimmt mich im Moment zu mehr als 100% in Anspruch. Es gilt einen wichtigen Softwaredeal noch in dieser Woche abzuschließen. Abends um 20:00 zeichnet sich aber ab, dass daraus doch noch nichts wird. Die Konsequenz ist, dass ich wohl in der folgenden Woche im Urlaub auch daran arbeiten muss. Das sind ja beste Voraussetzungen.

Egal, jetzt ist erst mal Spaghetti essen angesagt, ich muss ja meine Puffer randvoll haben. Danach wird es auch höchste Eisenbahn, meine Sachen für die Fahrt zu packen. Auch unser VW-Bus muss noch gepackt werden, denn meine Frau fährt ja mit ihm in die Toskana.

Der Wetterbericht sagt zwei Tage trockenes Wetter voraus. Ab Sonntag Nachmittag soll es allerdings in Norditalien schon wieder regnen. Dann bin ich aber hoffentlich schon weiter südlich. Auch temperaturmäßig sieht es mal zur Abwechslung angenehm aus. Tagsüber 20-28°C und auch Nachts nicht allzu frisch. Das heißt, ich kann meine Winterklamotten diesmal zuhause lassen und nur ein Langarmtrikot nebst Beinlingen einpacken. Fingerhandschuhe müssen natürlich mit, diesmal die neuen dünnen von Bontrager mit den Innenhandschuhen.

Gegen 22:00 kann ich dann doch beruhigt abschalten, es sollte soweit alles vorbereitet sein. Die Streckenplanung habe ich schon an den vorigen Abenden fertig gestellt und auf mein Garmin Edge-705 geladen. An sich wollte ich nördlich um Modena herum durch Carpi fahren, aber wegen des Erdbebens dort musste ich die Route nochmal ändern. Jetzt geht es doch wieder südlich an Modena vorbei wie beim letzten Mal, aber auf kleineren und direkteren Wegen.

So, der Wecker wird auf 4:00 gestellt, damit ich auch rechtzeitig um 5:00 los komme. Leider kann ich nicht einschlafen, mehr als dösen geht nicht. Mehrmals schaue ich auf den Wecker, die Stunden rinnen dahin, Schlaf will sich nicht einstellen. Irgendwann überrascht mich das Piepsen doch im Halbschlaf. Mit Schlafdefizit auf so eine lange Tour, da bin ich ja mal gespannt.

Mein erster Blick am Morgen gilt dem Wetter. Es scheint klar zu sein, man sieht die Sterne und es ist auch gar nicht so kalt, das Thermometer zeigt 10°C um diese Zeit. Auch wenn ich gar nicht hungrig bin, eine Rest Spaghetti muss noch rein. Auch belege ich mir vier Laugenstangen für unterwegs mit Schinken. Zwei Cappuccino und eine Banane später werden die letzten Kleinigkeiten wie mein iPhone verstaut, die Ohrhörer eingestöpselt und dann kann es losgehen. Pünktlich um 5:00 starte ich die GPS Aufzeichnung und trete langsam an in Richtung Höllental.

Um diese Zeit sollte da noch sehr wenig Verkehr sein. Das stimmt, allerdings besteht er fast nur aus Lastwagen. Durch den zweispurigen Ausbau nehmen diese aber immer die linke Spur, sodass ich recht angenehm die gleichmäßige Steigung bis Hinterzarten überwinde. Schon wird mir warm, und ich nehme die Innenhandschuhe heraus. Bei der Gelegenheit kann ich auch schon das Licht ausschalten es wird ja angenehmer weise sehr früh hell.

Weiter geht es über den Erlenbuck nach Bärental und von dort zum Schluchsee. Am Ende des Sees zweigt die kleine K6594 ab nach Brenden und Berau. Sobald man aus dem Wald kommt öffnet sich eine wunderschöner Blick nach Süden über den Hotzenwald hinweg bis weit in die Schweiz. Durch den Dunst kann man die Alpen heute zwar nicht sehen, aber die Morgensonne die mittlerweile schon leicht wärmt, taucht alles in ein weiches Licht. Wenn es nicht so gut bergab rollen würde, würde ich ja ein Foto machen. So aber bin ich ehe ich mich versehe schon wieder unten und rolle Richtung Küssaberg zur Schweizer Grenze.

Hier unten ist es jetzt um 7:30 schon angenehm warm und ich ziehe meine Beinlinge und die Handschuhe aus. Eine Banane wird schnell reingeschoben und überflüssige Flüssigkeit entsorgt. Nach 9 Minuten geht es weiter auf kleinen Wirtschaftswegen am Rhein entlang bis es dann bei Mellikon über die Hügel nach Süden geht. Später treffe ich auf die Hauptstraße 17 der ich nach Zürich folge. Diesmal gelingt es mir ohne Orientierungsstopp durch Zürich zu kommen, ich finde auch den Zugang zum Radweg an der Limmat auf Anhieb. Wie oft sind diese Radwege entlang der Flüsse sehr schön zu fahren, da sie vor allem Kreuzungsfrei sind.

Schnell ist Zürich durchquert und es geht am Zürichsee entlang. Erstaunlicherweise sind diesmal kaum Rennradfahrer unterwegs, bei denen man sich dranhängen könnte. Vielleicht weil Samstag ist und nicht Sonntag wie letztes Mal. Sehr gelegen kommt mir eine öffentliche Toilette mit einem Brunnen davor bei Küssnacht. Hier lege ich bei 116km eine kleine Pause ein um endgültig das kurze Trikot anzuziehen und eine der mitgebrachten Laugenstangen zu essen.

Nach 16 Minuten geht es weiter am See entlang, der sich ganz schön lange (40km) hinzieht. Der Wind weht leicht und kaum störend von rechts vorne und so geht es zügig mit ca. 32km/h über Rapperswil bis an das Seeende bei Schmerikon. Hier verlasse ich die Hauptstraße und fahre auf kleinen Wirtschaftswegen weiter. Bei bestem Wetter und jetzt auch mit Blick auf die Alpen macht das richtig Laune. Deshalb muss auch noch ein kleiner Fotostopp (11:00 Uhr, 155km) eingelegt werden.

Bald ist der Walensee erreicht, der herrlich türkis in der Sonne liegt. Zu Beginn des Sees ist der weg nicht asphaltiert, aber dennoch sehr gut zu fahren. Auch wird es an einer Stelle richtig steil mit mehr als 20%, aber es sind kaum mehr als 100m, insofern gut im Stehen zu fahren.

Bei Murg halte ich zweimal kurz um ein Foto zu machen und meine Wasserflaschen an einem Brunnen aufzufüllen (12:00 Uhr, 176km)

An Sargans vorbei geht es jetzt auf kleinen Straßen ins Rheintal und weiter durch Bad Ragaz und Landquart nach Chur. Sehr angenehm ist hier der Wind, der von hinten kommt und mich leicht anzuschieben scheint. Dadurch komme ich auch ohne große Anstrengung auf Geschwindigkeiten um die 32km/h trotz permanent leichter Steigung. Vor Chur nutze ich den Fahrradweg, der am Rhein entlang führt. Er ist nicht durchgehend asphaltiert, aber ruhig und sehr schön gelegen. Im Bogen geht es nördlich um Chur herum, ohne Autoverkehr und Ampeln. Nach Chur geht es wieder auf die 13, der ich jetzt länger folgen werde. In Reichenau biegt die Straße dem Altrhein entlang nach Süden ab und ich erreiche Rhäzüns, wo ich kurz meine leeren Radflaschen wieder auffülle. Bei ca. 25°C brauche ich doch einiges an Flüssigkeit. Auch kommt jetzt der Wind leider von schräg vorne aus Südost. Jetzt lässt es sich nicht mehr so locker dahin rollen wie bisher.

Es ist mittlerweile 14:20 und ich habe 240km hinter mir. Zeit für eine Mittagsrast also. Bei Cazis liegt ein Hof mit einer Obstwiese links neben der Straße und ich nutze die Gelegenheit und lasse mich dort für ein paar Minuten nieder.

Zwei Laugenstangen und ein Schokoriegel werden verdrückt, die Kette meines Rades nachgeölt und nach 26 Minuten geht es weiter und schnell ist Thusis erreicht.

Ab jetzt wird es bergig. Hier befinde ich mich noch auf 680m, der Splügenpass liegt auf 2100m. Angenehmerweise geht es aber in Stufen hoch, die erste mit der Viamala Schlucht kommt jetzt.

Die alte Viaspluga Straße windet sich steil durch die Schlucht, der ein oder andere alte dunkle Tunnel durchbricht Felsnasen in der steilen Wand. Bei teilweise 12% Steigung und verfallenem Asphalt bin ich froh, dass schon nach zwei Kilometern die Kantonstraße wieder erreicht wird.

Kurz darauf passiere ich den Touristenzugang zur Schlucht, wo immer viele Busse und Motorräder stehen und einiges an Trubel herrscht. Es sieht schon spektakulär aus, vor allem auch die alten Steinbrücken über die Schlucht. Mein Garmin hat Aufgrund der tiefen Schlucht und den Tunnels den GPS Empfang verloren, und findet ihn auch danach nicht wieder. Erst ein erneutes Einschalten behebt das Problem.

Ein paar Kilometer weiter ist die Rofflaschlucht erreicht. Auch hier rücken die Felswände eng zusammen und bilden eine spektakuläre Kulisse. Die Straße führt weiter das Hinterrheintal hinauf, mit kurzen steilen Rampen und auch dem ein oder anderen Flachstück oder sogar kurzen Gefällstrecken. Auf 1400m Höhe ist dann Sufers mit dem Sufersee erreicht. Hier lässt es sich auch wieder eine Weile eben rollen, was die Beine nach 275km gerne danken. Kurz darauf bin ich auch schon in Splügen, wo die Passstraße abzweigt. Hier wird nochmal eine kleine Rast eingelegt um die Speicher für die letzten Höhenmeter zu füllen.

Ein Brunnen mitten in Ort bietet sich an, hier habe ich auch schon vor einem Jahr Pause gemacht. Es ist jetzt kurz vor 17:00 Uhr und ich fühle mich noch ganz gut in Form für den letzten Anstieg. Allerdings kommt zu den bevorstehenden 700hm bis zur Passhöhe leider auch ein böiger Gegenwind dazu.

Nach 17 Minuten geht es weiter und ich kurble gleichmäßig die Serpentinen hinauf. Mit knapp 10% Steigung geht es gleich los, mit diesem Gegenwind wäre da eine etwas kleinere Übersetzung gar nicht so übel. Meine 34/23 sind da schon recht zäh.

Nach den ersten Serpentinen wird die Straße wieder gerade und zieht sich ca. 3 km mit gemäßigter Steigung das Tal entlang. Danach geht es in einer exakt aufgereihten Reihe von weiteren Serpentinen den letzten Hang zum Pass hinauf. Um 18:00 erreiche ich den Splügenpass auf 2117m. Ich halte kurz um für die Abfahrt Beinlinge, Windweste und die Handschuhe anzuziehen. Die Temperatur ist ganz passabel, aber der Wind macht es doch recht frisch.

Schnell geht es weiter in die lange Abfahrt. Nach ein paar Kehren wird es schon wieder flach und ich muss gegen den Wind den Lago di Montespluga umrunden. Das hilft aber die angesäuerten Beine wieder zu lockern. Nach der Staumauer geht es heftig runter, die engen Kehren zwingen immer wieder zu Vollbremsungen. Dazu kommt der miserable Asphalt, der mich gehörig durchrüttelt. Am schlimmsten sind die Tunnel und Galerien, wo man kaum etwas sieht. Meist sind die übelsten Schlaglöcher genau dort und erwischen einen ohne Vorwarnung.

Ich fahre auch diesmal wieder die Schleife über Ca‘ di Goss, allerdings bin ich mir nicht sicher ob das angenehmer ist, als die direkte Abfahrt. Auch hier muss ich dauernd bremsen und den Schlaglöchern so weit es geht ausweichen. Ein kleiner Gegenanstieg geht dann gleich wieder in die Beine. Ich spüre die 3800 Höhenmeter bis hierher schon deutlich.

Ab Campodolcino wird die Straße besser und ich kann es etwas laufen lassen und die Abfahrt genießen. Je weiter ich hinunter komme, desto wärmer wird es auch wieder. Erstaunlich, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit von der Passhöhe bis Chiavenna nur bei 36km/h liegt obwohl es 1700 Höhenmeter bergab geht.

In Chiavenna halte ich nur kurz um Windweste und Handschuhe wieder zu verstauen. Ich denke daran, wie ich im letzten Jahr hier ziemlich kaputt und froh war eine Übernachtung einlegen zu können. Diesmal kostet es schon etwas Überwindung einfach weiterzufahren. Zumal es ja kein echtes Ziel heute Abend gibt.

Der Wind bläst mir immer noch entgegen, allerdings nicht mehr ganz so stark wie in den Bergen. Auf einem schönen geraden Fahrradweg fahre ich am Fluss Mera entlang und erreiche bald die nördlichen Ausläufer des Comer See. Hier am See ist der Wind sehr böig, ich beschließe bald Abend zu essen, denn später wird der Wind hoffentlich einschlafen.

So halte ich dann in Dorio bei einem Restaurant welches mir zusagt. Man kann hier im Freien auf mehreren Terrassen sitzen. Zuerst einmal werde ich etwas schräg angesehen, als ich mein Rad auf die oberste, unbesetzte Terrasse trage. Als ich dann Spaghetti Bolognese bestellen möchte, stellt sich heraus, dass es das hier nicht gibt. Notgedrungen bestelle ich Spaghetti Aglio e Olio, das einzige Spaghettigericht welches sie anbieten. Ich bitte um eine besonders große Portion, denn oft sind die Primi Piatti ja nur bessere Vorspeisen. Dazu nehme ich ein Bier, das habe ich mir verdient. Positiv überrascht bin ich, als serviert wird. Eine Riesenportion dampfende und duftende Spaghetti stellt man mir hin, die auch noch sehr lecker schmecken. Den Knoblauchgeruch werde ich sicher bald wieder ausgeschwitzt haben.

Nach dem Essen fülle ich meine Flaschen noch auf, öle mal wieder die Kette und mache mich dann nach einer Stunde Aufenthalt um 21:30 Uhr auf den Weg in die Nacht hinein. Der Wind ist wirklich fast ganz eingeschlafen und es fährt sich recht angenehm. Sonderlich schnell bin ich allerdings nicht, nur etwa 28km/h im Schnitt. Auch der Puls geht langsam runter, ich vermute mein Körper verdaut gerade die Spaghetti.

Elend lange zieht sich der Comer See hin, in Summe sind es über 50km. Auch ist noch erstaunlich viel Verkehr. Am Samstag Abend ist wohl die ganze Jugend hier am See unterwegs. In Lecco gibt es am Ufer eine lautstarke Disco, die offensichtlich eine Riesen Anziehungskraft hat, denn der Verkehr staut sich hier sogar um  22:45 Uhr auf mehreren hundert Metern.
Ich schaue mich hier nach einem Brunnen um, denn eigentlich würde ich gerne mit vollen Wasserflaschen in die Po-Ebene fahren. Dort gibt es sicher keine Brunnen mehr. Aber Fehlanzeige, ich kann keinen entdecken. Auch offene Tankstellen scheint es in Italien nicht zu geben. Es steht zwar überall ein Geöffnet Schild, aber darunter immer auch „Selfservice“. Das bedeutet dann, es gibt nur Tankautomaten und nichts zu kaufen. Hmm, wie komme ich denn dann mitten in der Nacht an Wasser? Das wird ja heiter. Vielleicht muss ich mich ja doch irgendwann ins Gebüsch schlagen und die Nacht abwarten.  Andererseits sollte ich  Montag Morgen ja einigermaßen ausgeruht an meinen Laptop sitzen und an meinem Softwaredeal weiterarbeiten. Das klappt nicht, wenn ich die Nacht nicht durchfahren kann.

Diese Gedanken werden erstmal abgelöst von der letzten Steigung in Villa d’Adda, wo es nochmal ca. 100hm zu überwinden gilt. Mittlerweile habe ich auch die 400km Marke überschritten. Ich darf nur nicht daran denken, dass ich noch mindestens 500km vor mir habe.
Ab jetzt wird es aber endgültig flach. Eine Weile fahre ich auf kleinen Straßen parallel zur SP 170, aber irgendwann wird es mir doch zu doof, da ich immer konzentriert sein muss bei den vielen Kreuzungen und Schwellern. Zudem muss ich auch prompt noch an einem Bahnübergang halten weil ein kleiner Zug durchtuckert. So fahre ich dann doch auf die größere Straße, mittlerweile ist auch kaum noch Verkehr. Man merkt, das ist keine Touristenecke mehr.

Um 0:30 sehe ich in einem kleinen Ort eine Bar, die offensichtlich noch geöffnet hat. Wie praktisch, hier komme ich an Wasser. Zudem gönne ich mir ein Bier. Da sie schließen wollen, bin ich schon nach 10 Minuten wieder draußen. Aber das Bier war gut!

Weiter geht es über Treviglio nach Crema. Gute Straßen kein Problem mit der Routenfindung es klappt alles ganz gut, bis auf die Tatsache, dass ich eigentlich gar keine Lust mehr habe Rad zu fahren. Vielleicht ein Effekt des Schlafmangels, obwohl ich keine direkte Müdigkeit verspüre. Ich merke nur, dass mein Puls doch ziemlich runter geschaltet hat. Oft fahre ich unter 120 Schläge in der Minute.

Um 2:00 Uhr halte ich kurz an um das Bier wieder los zu werden, außerdem baue ich meine Laune mit einem Schokoriegel wieder etwas auf. Danach geht es weiter durch die einsame Nacht.
Etwas später, südöstlich von Castelleone sehe ich zuerst ein Sperr-Schild an der Straße und kurz darauf stehe ich vor eine Leitplanke, die meine Straße schneidet. Ich hebe mein Rad drüber, quere die neu gebaute Straße und überwinde auch auf der anderen Seite die Leitplanke in der Hoffnung, dass meine Straße hier weiter führt. Und richtig, als ob nichts gewesen wäre geht es weiter. Na ja, mit einem Motorrad wäre das jetzt nicht so einfach gegangen.

Nicht viel weiter kommt die nächste Überraschung. Meine Route führt mich auf eine ungeteerte Schlaglochpiste. Habe ich da bei der Planung nicht aufgepasst? Kurz darauf ist die Streckenführung unübersichtlich und ich muss ein kleines Stück zurück fahren um den richtigen Abzweig zu erwischen. Auch hier geht es ungeteert weiter. Zum Glück hört das Elend aber schon nach 2,5 km wieder auf.

In San Bassano siegt schon wieder der Schweinehund. Es ist 2:30 Uhr und der Tacho zeigt 468km. Gut, dass ich noch eine Laugenstange übrig habe. Auch Wasser ist noch da, und so entspanne ich mich so gut es geht für 13 Minuten. Ein Riesenvorteil hier im Süden und bei dieser Jahreszeit sind die Temperaturen. Noch gut 15°C mitten in der Nacht und man braucht nicht mal Beinlinge oder Handschuhe. Kein Vergleich mit meinen letzten Nachtfahrten wo regelmäßig die Wasserflaschen einfroren.

Weiter geht es durch Cremona und dann ab San Daniele Po auf herrlich zu fahrenden Deichwegen am Po entlang. Mittlerweile graut im Osten auch schon wieder der Himmel. Das baut gleich ungemein auf. Gegen 5:00 halte ich nochmal für eine Pinkelpause und zwei Müsliriegel. Lange Ausruhen ist hier nicht angesagt, die Mücken sind doch recht aufdringlich. Kein Wunder bei dem vielen Wasser.

Die Strecke ist hier weiterhin sehr schön, vor allem sieht man wieder viel Landschaft seit es hell ist. Bei Viadana überquere ich den Po auf der SP 358. So früh am Sonntagmorgen ist hier kaum ein Auto unterwegs. In Poviglio entdecke ich dann um 6:30 das erste offene Café.

Selten habe ich ein heißes Schokoladencroissant so genossen wie hier. Dazu zwei Cappuccino, herrlich! Die Lebensgeister sind wieder geweckt. Die Sonne strahlt auch schon wieder und so geht es nach 25 Minuten mit frisch gefüllten Wasserflaschen gut gelaunt weiter.  Erstaunlich wie leicht es mir trotz 565km fällt hier in Richtung Bologna loszufahren. Als ob ich ausgeruht eine neue Tour beginne.

Schnell wird es warm heute, aber keine größeren Wolken und wenig Wind von der Seite. Ideal also zum Radfahren. Ich komme jetzt auch wieder etwas schneller voran, ca. 28km/h bei einem Puls von knapp 130 im Schnitt. Um 8:00 halte ich kurz für eine Pinkelpause, dann geht es zwischen Reggio nell Emilia und Modena über die A1. Dies ist die Gegend wo vor einer Woche das Erdbeben war. Carpi, das Epizentrum liegt nur 10km Luftlinie entfernt. Es sind aber hier keine Schäden auf Anhieb zu sehen. Ich hatte schon die Befürchtung, dass Straßen gesperrt oder unpassierbar sind.

Die Route verläuft hier ideal auf schmalen Erschließungsstraßen, die meist relativ frisch geteert sind. An Modena fahre ich südlich vorbei und treffe bei Spilamberto auf die SP 15. Hier ist wieder mehr Verkehr, der noch zunimmt je näher ich an Bologna komme. Voraus sind schon die Vorhügel des Appenin zu sehen, die nächste Herausforderung. Kurz vor Bologna halte ich nochmal kurz an um Barbara anzurufen. Es ist jetzt 10:00 Uhr, das sollte passen. Leider kann ich sie nicht erreichen, so schreibe ich kurz eine SMS.

Kurz darauf bin ich in Casalechio die Reno, ein Vorort von Bologna, wo die Route nach Süden in den Appenin hinein abbiegt. Dummerweise bläst mir ab hier ein fieser Gegenwind ins Gesicht. Das bräuchte es jetzt eigentlich nicht, aber was soll’s, ich kann es ja nicht ändern.

Als ich kurz langsamer werde weil ich aus der Wasserflasche trinke, werde ich von einem italienischen Rennrad Fahrer überholt. Super, denke ich und hänge mich dran. Leider bremst ihn der Gegenwind stark ab, so dass ich schon überlege ob ich nicht wieder überholen soll. Aber ich überwinde meinen Ehrgeiz und halte mich ein paar Kilometer im Windschatten.

Leider bin ich schon bald wieder alleine, da er eine andere Strecke fährt. Ich folge der SP 325 die hier noch recht flach parallel zur Autobahn in den Appenin führt. Gefühlt habe ich schon mehrere Hundert Meter Anstieg überwunden, vor allem durch den Gegenwind, aber ein ernüchternder Blick auf den Höhenmesser zeigt nur 100m Meereshöhe an.

In Vado macht mich eine Pizzeria am Straßenrand an und ich halte an. Es ist 11:00, ein frühes Mittagessen wäre nicht übel. Vor allem nach mittlerweile 670km. Genau die Entfernung meiner letzten Tour nach Leipzig. Heute muss ich aber noch gut 230km mit einigen Höhenmetern abstrampeln. Auf die Pizza muss ich dann doch verzichten, der Ofen ist noch nicht angeheizt. Aber immerhin ein Bier gönnen sie mir. Ein paar Meter im gleichen Ort halte ich nochmal, hier gibt’s ein Café. Ein Cappuccino, ein Mars und ein süßes Teilchen müssen als Pizza Ersatz herhalten.
In Summe kostet mich das 26 Minuten. Aber die sind gut investiert, geht es doch ab jetzt deutlich bergan. An sich völlig harmlos, aber der Wind bremst doch gewaltig.
So kämpfe ich mehr gegen den Wind als gegen die 700 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt nach Castiglione di Pepoli. Auch auf der kurzen Abfahrt danach muss ich treten, ausruhen geht nur beschränkt. Das zeigt sich an der Geschwindigkeit, ein Schnitt von nur 27km/h bergab bei 3% Gefälle.
In Montepiano biege ich ab auf die kleine SP 36. Sie führt nochmal nach oben über einen kleinen Pass. Nur 130 Höhenmeter aber doch mit 10% recht steil. Dennoch genieße ich diesen Abschnitt, es ist total still und angenehm schattig im Wald und im Moment bläst auch der Wind nicht mehr so extrem.

Nach dem Pass geht es steil nach unten, mal wieder mit vielen Kehren und Schlaglöchern die permanentes Bremsen nötig machen. Im Tal erreiche ich Barbarino di Mugello. Jetzt liegt noch ein giftiger Anstieg vor mir, bevor es hinunter nach Florenz geht.
Diese 200 Höhenmeter hinauf nach Croci sind dann aber doch recht schnell überwunden, trotz ein paar Rampen mit bis zu 12% Steigung. In Croci mache ich Rast, hier gibt es auf dem höchsten Punkt ein Café. Es ist auch höchste Eisenbahn, meine Wasserflaschen sind leer. Es ist jetzt 14:30 Uhr und der Tacho zeigt 730km. Hier denke ich zum ersten mal daran, wann ich wohl ankommen werde. Es sind ja nur noch ca. 170km, eine überschaubare Entfernung also. Aber mit dem Wind und   den Chiantihügeln die noch vor mir liegen ist die Zeit recht schwer einzuschätzen. Ich sollte es aber dennoch vor Mitternacht schaffen.
Nach 20 Minuten geht es gestärkt durch ein Eis, einen Cappuccino und ein Bier weiter in die Abfahrt nach Florenz. Hier kann ich es seit langem mal wieder richtig laufen lassen. Ich muss allerdings aufpassen, der böige Gegenwind rüttelt doch sehr an mir.
Sehr schnell bin ich unten und biege in ein kleines Sträßchen ab, welches mich nach einem kurzen knackigen Anstieg hinunter nach Sesta Fiorentino, einem Vorort von Florenz führt. Sehr entspannt radle ich durch Florenz, die Strecke ist wirklich optimal. Wenig Ampeln und heute auch wenig Verkehr begleiten mich durch die Stadt. Im Zentrum quere ich bei der Kirche Santa Maria Novella die Altstadt und kurz darauf den Arno.
Danach geht es schon wieder nach oben. Auf der SP4 kurble ich die teilweise 12% steilen Serpentinen hoch. Und richtig heiß ist es dazu. Hoffentlich bekomme ich keinen Sonnenstich. Der nach wie vor stark von vorne blasende Wind schafft aber etwas Abkühlung.
Ich freue mich schon auf die Wasserstelle, die ich von der letzten Fahrt kenne. Ich erreiche sie bei Chiesanuova um 16:20 Uhr. Herrlich kühl kommt das Wasser aus dem Hydranten. Ich fülle meine Flaschen auf, esse noch einen Riegel und fahre dann nach 9 Minuten weiter.
Nach San Casciano quere ich die autobahnähnliche SS2 und fahre auf der SP34 ins Chianti Gebiet. Ab Sambuca geht es wieder zur Sache, es gilt auf 600m Höhe zu kommen. Ich merke, dass meine Kräfte langsam erschöpft sind, die 9% Steigung hier kommen mir wie 15% vor. Das liegt sicher auch an dem nach wie vor unangenehmen Gegenwind.
Ich kämpfe mich die letzten Höhenmeter hoch und bin froh, dass es ab Castellina in Chianti wieder eine erholsame Abfahrt gibt. Auch der Gegenanstieg bei Quecegrossa ist dann keine große Hürde mehr und ich laufe um 19:00 in Siena ein. Aber jetzt sollte ich dringend was zwischen die Zähne bekommen, meine Puffer sind doch ziemlich leer. In nur 20 Minuten bin ich durch Siena durch und auf der SS2 Cassia angekommen, auf der ich das letzte Stück fahren werde.

In Isola finde ich um 19:30 Uhr dann endlich eine Pizzeria, die einen guten Eindruck macht. Hungrig mache ich mich über die Quatro Staggioni nebst einem Bier her und will gleich noch Barbara anrufen. Es stellt sich aber heraus, dass ihr Handy-Ladegerät kaputt ist und ich mit dem Reiterhof telefonieren muss. Auf diesem Weg mache ich aus, dass sie mich um 23:00 Uhr 15km vor unserem Reiterhof unten an der Cassia abholen soll, denn es sind von hier zwar nur noch 90km, aber auf den letzten 15km ginge es nochmal 600 Höhenmeter hoch auf 900 Meter, und das würde ich vor Mitternacht nicht mehr schaffen.

Gut gelaunt, bei schönem Abendlicht gehe ich nach 50 Minuten die letzte Etappe an. Leider will der Gegenwind nicht nachlassen, hier in der offenen Crete bläst er noch stärker als zuvor. Hoffentlich schläft er später noch ein. Mein Puls ist auch bereit wieder etwas nach oben zu gehen, ich schaffe es für eine Weile auf knapp 140. Das braucht aber Konzentration, von alleine läuft es nicht mehr.
Mittlerweile ist es wieder dunkel geworden und ich fahre mit Licht.

Hier fällt mir auf, dass mein Empfinden für Steigungen sich geändert hat. Wenn ich den Eindruck habe, es ist eben, sagt mir mein Garmin, dass es leicht bergab geht. Kommt eine leichte Steigung sehe ich, dass es in Wirklichkeit flach ist. Ist das der Wind, oder sind das Begleiterscheinungen des langen Fahrens? Ich bin jetzt bald 40 Stunden unterwegs.
Bei Terrenieri und dann vor San Quirico geht es aber auch laut Höhenmesser wieder deutlich bergauf. Dummerweise will der Gegenwind nach wie vor nicht nachlassen. Nur langsam komme ich voran. Da ich die Strecke kenne, freue ich mich dass nur noch eine Steigung vor mir liegt, die Auffahrt zum Tunnel bei Radicofani. Diese zieht sich aber endlos in die Länge. Nach jeder Kurve erwarte ich den Tunnel, aber er will und will nicht kommen. Doch irgendwann ist auch das geschafft und der Tunneleingang leuchtet mir entgegen. Nun geht es nur noch ein paar Kilometer bergab. Leider muss ich aber meist treten, der Wind bremst nach wie vor gewaltig. Auch rütteln mich hier die Schlaglöcher noch mal durch, so übel hatte ich die Straße gar nicht in Erinnerung.

Endlich sehe ich das Schild nach Castell’Azara. Hier steht auch unser VW Bus und Barbara empfängt mich erleichtert nach dieser langen Fahrt. Es ist nun doch 23:30 geworden, die letzten Kilometer gegen den Wind habe ich wohl noch etwas Zeit verloren.

Oben auf dem Reiterhof trinke ich noch ein Bier, esse einen Joghurt und schlafe dann gut und tief bis um 8:00 Uhr am Montag morgen, an dem mich die Arbeit dann wieder voll im Griff hat.

Strecke / Höhenmeter:900 km8200 hm
Gesamtzeit / Gesamtdurchschnitt:42:24 h21.2 km/h
Reine Fahrzeit / Durchschnitt Fahrt:36:12 h24.9 km/h