Madeira

Sonntag, 1.12.2019: Pico Ruivo – Levada das Rabaças, 26km – 1300hm

Nachdem ich aufgestanden bin, gehe ich vor meinem Morgenkaffee noch einmal auf den Gipfel hinauf, um den Sonnenaufgang zu sehen. Es ist wieder klar, allerdings hat der Wind doch etwas aufgefrischt und weht recht böig aus Norden. Dadurch ist es gefühlt doch etwas frisch und ich mache mich bald wieder an den Abstieg. Nach dem Kaffee stelle ich erstaunt fest, dass Nebelschwaden über den Grat geweht werden. Wo kommen die denn plötzlich her? Gerade war es noch sonnig und plötzlich ist es neblig trüb.

Mein Plan sieht heute eigentlich vor, über Encumeada nach Rabaçal zu wandern. Aber macht das bei diesem Wetterwechsel noch Sinn? Je mehr es bläst und natürlich gleich auch ein paar Nieselregentropfen fallen, desto eher tendiere ich dazu abzusteigen. Es gibt einen ausgewiesenen Weg von hier nach Ilha, den PR1.1, der biegt etwas tiefer vom Weg zum Parkplatz ab.

Nachdem alles verstaut ist, geht es los. Ich ziehe gleich meine Regenjacke an und auch meine lange Unterhose als Leggings unter die Shorts. Dann geht es denn Weg wieder hinab, erstmal Richtung Parkplatz. Der Wind beutelt mich streckenweise hin und her, zwischendurch ist es dann wieder fast windstill. Der Nebel hält sich in Grenzen, ab und zu kommt sogar etwas die Sonne durch. Wann kommt denn jetzt der Abzweig? War das wirklich so weit unten?

Plötzlich sehe ich den Parkplatz vor mir. Anscheinend bin ich am Abzweig des PR1.1 vorbei marschiert. Nun gut, dann eben wieder zurück. So langsam wird mir warm und das Wetter hat sich auch nicht verschlechtert, so zweifle ich langsam an meinem Entschluss, ins Tal abzusteigen. Ich könnte ja erstmal nach Encumeada wandern und falls notwendig von dort dann an die Küste weiter gehen.

So beschließe ich das auch und laufe diesmal am Abzweig nach Ilha, der viel weiter oben war, bewusst vorbei und zurück zum Casa da Ruivo. Von hier folge ich ein paar Meter dem Weg zum Gipfel und biege dann auf den PR1.3 nach Encumeada ab. Auf dem Wanderschild war beschrieben, dass sich der Weg durch „häufige An- und Abstiege“ auszeichnet. Ich bin mal gespannt, was das bedeutet. Es ist mittlerweile schon 11 Uhr, und bis Rabaçal werde ich es heute mit Sicherheit nicht mehr schaffen.

Bald wird klar, dass das ein recht anstrengender Weg ist, es gibt kaum ebene Stellen, und es geht wirklich nur steil hinauf, oder steil hinunter. Kaum unterwegs, erledige ich mich erstmal meiner Leggings, denn es wird beim Laufen sonst einfach zu warm. Unterwegs begegnet mir eine Gruppe Trail Runner, die hier oben aber auch eher zügig gehen, als wirklich zu rennen.

Meinen Entschluss, doch hier entlangzuwandern, bereue ich nicht, denn der Wind ist hier nicht mehr so giftig und vor allem habe ich oft einen schönen Ausblick auf die Täler auf der Südseite. Besonders schroff und spektakulär ist das Curral das Freiras oder Nonnental.

Obwohl der Weg nur 11 km lang sein soll, kommt er mir viel länger vor. Die Zeitangabe von 6h Gehzeit deutet das schon an. Immer wieder tauchen neue Spitzen vor mir auf, die entweder auf der Südseite (trocken, warm) oder Nordseite (feucht, kalt) umgangen werden. Das Umgehen ist aber meist auch mit einem Abstieg von oft hundert Höhenmetern und entsprechendem Wiederaufstieg verbunden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, real war ich wohl 4 ½ Stunden unterwegs, erreiche ich den Sattel von Encumeada. Dort ist es neblig und ich sehe nur eine Straßenkreuzung. Hier verläuft eine wichtige Verbindung von Ribeira da Brava nach Sao Vicente, die Hauptroute führt allerdings durch einen Tunnel.

Schnell habe ich jedoch das Restaurant etwas unterhalb der Kreuzung gefunden und stärke mich mit einem großen Toast, einem Bier und einem Café. Da ich mich hier eine Weile aufhalte, nutze ich die Gelegenheit, mein Akkupack und das Mobiltelefon aufzuladen. Mittlerweile ist es schon nach 16 Uhr und ich muss mich bald nach einem Zeltplatz umsehen. Nach Studium der Komoot Karte will ich hier einer Levada folgen, die später auf einen Weg stößt, der zur Hochebene Paul da Serra hinauf führt. Dort oben sollte es eben sein und somit Zeltmöglichkeiten geben.

Die Karte zeigt unterwegs verschiedene Levada Tunnel, einer davon ist sehr lang. Deshalb frage ich die Bedienung im Restaurant, ob dieser begehbar ist. Das wird bestätigt, ich solle aber sowohl auf den Boden, als auch auf die Decke achten mit meinem Licht, da die Gefahr bestünde, mit dem Kopf an die niederen Felsen zu stoßen. Ok, gut zu wissen, dass das geht.

So mache ich mich entlang dieser Levada auf und genieße erstmal den ebenen Weg (PR17) auf dem man lang ausschreiten kann und gut vorankommt. Der erste Tunnel, den ich schnell erreiche, ist etwa 500 m lang und gut begehbar. Allerdings ist es wirklich eng im Inneren und ich muss mich an der Felswand entlang quetschen und dabei den Kopf einziehen, damit ich durchkomme. Auf der anderen Seite bin ich ziemlich irritiert, denn plötzlich befinde ich mich auf der Nordseite, die Bergflanke, die eigentlich rechts von mir sein sollte, ist plötzlich links. Schnell dämmert mir, dass ich den falschen Tunnel durchquert habe. Ich hätte an diesem Tunnel vorbeilaufen sollen. Nun gut, wieder etwas Zeit verloren, aber was soll’s. Ich drehe um und quetsche mich wieder durch den Tunnel. Auf der südlichen Seite ist es deutlich wärmer, das ist angenehm. Weiter geht es an der Levada entlang, dann kommt wieder ein Tunnel, diesmal muss es der lange Tunnel sein.

Abermals bin ich irritiert, denn am Eingang des Tunnels steht ein großes rotes Verbotszeichen für Fußgänger. Was ist wohl der Grund? Vielleicht, dass der Tunnel so lang ist? Hmm, umdrehen ist auch keine Alternative, zumal es schon recht spät ist.

So beschließe ich, den Tunnel trotz Verbotsschild vorsichtig zu durchqueren. Schon der Eingang ist sehr eng, ich muss mich quer hineinquetschen und gebückt gehen. Zumindest sehe ich einen kleinen Lichtpunkt, das bekannte Licht am Ende des Tunnels ist also schon mal da.

Nachdem ich einige Meter im Tunnel bin, ist es nicht mehr ganz so eng und ich kann einigermaßen gehen. Problematisch ist nur, dass rechts von mir der Boden unmittelbar zum Wasserkanal abfällt, der ungefähr einen Meter tiefer liegt. Da hineinzufallen wäre sicher schlecht, zumal mir hier drin, wie mir schnell bewusst wird, mein Mobiltelefon nichts nützt.

Nach einer Weile komme ich an ein paar Stützen vorbei, die wohl gegen ein herabfallen der Decke schützen sollen. Aha, hoffentlich kommt da nicht irgendwo eine Blockade. Während ich weiterlaufe beginnen meine Gedanken zu kreisen. Es könnte ja auch sein, dass die andere Seite mit einem Gitter versperrt ist, dann müsste käme ich gar nicht mehr ins Freie. Oder er ist gesperrt, weil durch die Länge zu wenig Sauerstoff reinkommt???

Blödsinn, denke ich mir, nur keine Panik aufkommen lassen, ein Besucherbergwerk ist doch auch nichts anderes. Vielleicht ohne Wasserkanal, aber sonst? So laufe ich und laufe ich und wundere mich nur, dass der Lichtpunkt am Ende kaum größer wird. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich es aber geschafft, natürlich ist nichts versperrt und ich freue mich wieder im freien zu sein. Wie ich später nachmessen kann, war dieser Tunnel sage und schreibe knapp 2 ½ Kilometer lang. Kein Wunder hat das so lange gedauert bei der geringen Geschwindigkeit, mit der ich vorwärtskam.

Wieder draußen, folge ich weiter der Levada. Bald sollte die Stelle erreicht sein, wo sie auf den Weg trifft, den ich aufsteigen muss. Vorher zwängt sich der Wasserkanal jedoch an die steile Bergflanke und an manchen Stellen wird es wieder richtig eng. Bei einem Baum muss ich mich klein machen, um überhaupt vorbeizukommen. Beim letzten Taleinschnitt kann ich auf der anderen Seite schon den Weg sehen, der nach oben führt. Super, nur noch ein paar Meter. Vielleicht kann ich dort sogar zelten, denn mittlerweile hat die Dämmerung eingesetzt.

Kurz vor dem Taleinschnitt sehe ich, dass das Wasser über Kunstoffrohre hinüber zu anderen Seite geleitet wird. Eine Wasserbrücke sozusagen. Nach dieser Stelle wird der Weg immer schlechter, die Levada ist verfallen. Ein paar Meter weiter geht es im Gestrüpp von Himbeerhecken nicht mehr weiter. Ich kämpfe mich noch einen Meter weiter, rutsche dann aber mit einem Bein in die verfallene und hier trockene Levada. Mist, so mache ich mir nur die Kleider kaputt… Ich schiebe mich mit meinen Stöcken wieder hoch und betrachte die Umgebung. Wie kann ich von hier die paar Meter hinüber auf die andere Seite bewältigen? Ich stelle schnell fest, dass es keine Chance gibt. Das Tal ist zu steil und eine Kletterei viel zu gefährlich. Frustriert erkenne ich, dass ich den endlosen Tunnel umsonst durchquert habe und ihn noch einmal bewältigen muss. Jetzt ist mir auch klar, warum da ein Gesperrt-Schild stand.

Natürlich ist es jetzt sowieso zu spät und ich laufe nur ein paar hundert Meter wieder zurück, zu einer Stelle, wo die Levada mit zwei Platten abgedeckt ist. Da sollte mein Zelt gerade so drauf passen. Das funktioniert auch, und mitten im Steilhang sitze ich schließlich vor meinem Zelt und koche mir eine Portion Nudeln. So schlecht ist der Platz gar nicht…